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Expressionismus-Voraussetzungen

Die geschichtlichen Hintergründe des Expressionismus

Dieses Schaubild versucht einen ersten Eindruck zu verschaffen, warum es gerade kurz nach der Jahrhundertwende (-> 1910) zum Expressionismus kam. Dabei geht es hier vor allem um die Literatur.
Anmerkungen zum Schaubild:
  1. Es sind vor allem junge Leute, die als Autoren dieser Strömung anhängen und sie auch weiterentwickeln. Sie kommen aus dem Bürgertum, haben dessen Aufstieg miterlebt bzw. aus den Erzählungen ihrer Eltern mitbekommen - sehen auch Fehlentwicklungen, vor allem eine gewisse Überheblichkeit.

  2. Diese hängt stark mit der deutschen Geschichte zusammen: Aus einem Flickenteppich von Staaten, die nur Spielball für die Großmächte waren, ist 1870/71 ein großer, starker deutscher Nationalstaat geworden, dessen Bürger zum Teil jetzt noch mehr werden wollten, nämlich eine Weltmacht. Typisch wurde der Satz: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen."

  3. Die deutsche Wissenschaft wurde zunehmend führend, auch die Umsetzung der Ergebnisse in Technik.

  4. Es gab einen großen Optimismus, aber auch die Vorstellung, die Welt wäre eine große Maschine, die man steuern, der man dann aber auch nicht entkommen könne.

  5. Die soziale Not war in Deutschland durch die Arbeiterbewegung und die Antwort desd Staates, nämlich die Sozialgesetzgebung Bismarcks schon etwas abgemildert, aber dafür gab es die Vermassung der Menschen in den neuen Großstädten.

  6. Der Idealismus der deutschen Klassik wurde in den Schulen immer noch gelehrt, obwohl die Kunst sich längst in Richtung Realismus und schließlich sogar Naturalismus weiterentwickelt hatte: Man orientierte sich stärker an der Realität, hellte sie anfangs noch künstlerisch auf, stellte sich ihr schließlich aber total. Aus Gemälden wurden gewissermaßen Fotografien und zwar am besten noch Schnappschüsse.

  7. Dagegen versuchten die Impressionisten die Wirklichkeit neu zu sehen, die Eindrücke wiederzugeben, die sich in ihrem Inneren ergaben.

  8. Dem zunehmenden Allmachtsgefühl in manchen Kreisen stand eine schwindende religiöse Kultur gegenüber. Zwar waren die meisten Menschen noch Christen, aber die Gebildeten glaubten schon sehr viel weniger oder versuchten, sich mit der Wissenschaft zu arrangieren.

  9. Schon die Aufklärung stellte vieles an der Religion in Frage. Im 19. Jahrhundert wurde das dann immer extremer, betraf schließlich sogar das "Leben Jesu".

  10. Dazu kam Charles Darwin, der dem Menschen seine Sonderstellung als Krone der Schöpfung nahm - und zugleich der Natur eine Eigenentwicklung zugestand - es gab keine von Gott gesteuerte "Heilsgeschichte" mehr.

  11. Schließlich zogen Sigmund Freuds Forschungen zum Unbewussten dem aufklärerischen Denken zu einem großen Teil den Boden unter den Füßen weg. Plötzlich mussten die Menschen einsehen, dass nicht ihr Verstand regierte, zumindest nicht ganz, sondern dass es dahinter oder darunter Triebe gab, die man gar nicht kannte, die einen aber bestimmten.

  12. Um 1900 gab es eine regelrechte Fin de Siècle-Stimmung. Man glaubte, an ein Ende der Entwicklung gekommen zu sein, was nun zu einem allgemeinen Verfall führen würde. Nicht von ungefähr stürzten sich viele Intellektuelle geradezu begeistert in den Krieg, als er 1914 ausbrach. Man glaubte, dass in einer Art Stahlgewitter eine neue Welt mit einem neuen Menschen entstehen würde. Das kam dem Denken vieler Expressionisten entgegen, die in apokalyptischen Vorstellungen dachten - und viele von ihnen wollten tatsächlich auch einen "Aufbruch" in eine neue, bessere Welt - aber eben auf oder besser aus den Trümmern einer überlebten, morschen alten Welt.
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