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Faust-Beurteilung

Goethes "Faust": "Unglückfigur" oder "auf dem rechten Wege"?

Beispiel für eine literarische Erörterung - veranschaulicht an einem Schaubild.
Mit Hilfe eines Schaubildes wird gezeigt, wie man klären kann, ob Faust eher eine Unglücksfigur ist (als die er in einem Buch bezeichnet wird) oder aber ein "Knecht" Gottes, der im Rahmen von dessen Konzept auf dem "rechten Weg" ist. Dabei geht es ausschließlich um Faust I.
Goethes „Faust“ zwischen – „Unglücksfigur“ und „rechtem Weg“
Das Schaubild beruht auf Textauszügen aus dem Buch von Michael Jaeger: Global Player Faust oder Das Verschwinden der Gegenwart. Zur Aktualität Goethes. Königshausen & Neumann, Würzburg 2013, S. 11,22, in denen Faust als „Unglücksfigur“ bestimmt wird, die eigentlich nur Schaden anrichtet. Wir zeigen im Folgen-den, wie eine solche These geprüft werden kann. In der Textvorlage wird sie nur mit „Opfer“ und „Kosten“ verbunden, was sich auf Gretchen, ihre Mutter und ihren Bruder bezieht.

Die im Schaubild erwähnten längeren Zitate wurden den Schülern auf Extrablatt präsentiert.

Erläuterung der einzelnen Punkte des Schaubildes:

1.    Zunächst einmal geht es darum, sich die Ressourcen klarzumachen, die man für eine solche Erörterung im Rahmen einer Klausur zur Verfügung hat.

2.    Da ist zunächst mal der Ausgangstextauszug, dessen sehr karge Argumentation im Hinblick auf die Klärung der Frage schon erwähnt und ins Schaubild aufgenommen wurde.

3.    Der ursprünglich ganz rechts stehende Bereich der eigenen Kenntnisse ist nach links gezogen worden, weil damit die notwendige Differenzierung und Relativierung der Jaeger-Ansätze einfacher einbezogen werden kann.

a.    Gretchen ist zwar Opfer, aber natürlich auch nicht schuldlos daran, außerdem bekommt sie auch etwas zurück an Anerkennung und wohl auch einen Ansatz von Liebe, außerdem wird sie am End gerettet.
b.    Am Tod der Mutter ist Faust schuldlos, das ist Mephistos Werk.
c.    Beim Bruder ist es Notwehr, außerdem führt Mephisto die Waffe.

4.    Viel wichtiger ist das, was aus dem „Prolog“ gegen die „Unglücksfigur“-These spricht:
a.    Faust ist „Knecht“ Gottes, der dem HERRN zumindest schon mal „verworren“ dient.
b.    Außerdem soll er von ihm zur „Klarheit“ geführt werden.
c.    Gott versteht sich als Gärtner, Faust ist für ihn eine Pflanze, die Früchte tragen wird.
d.    Vorausgesagt wird die Beschämung des Teufels – und der akzeptiert die Oberhoheit Gottes durch-aus.
e.    Mephisto hat eine Funktion, ist als „Schalk“ eine andere Art von „Knecht“.
f.    Die spannende Frage ist, ob Opfer und Kosten des Experiments von diesem „HERRN“ mit ein-gepreist sind.

5.    Ganz wichtig sind auch die beiden unterschiedlichen Vorstellungen beim Pakt:

a.    Faust präsentiert zwei unterschiedliche Fälle:
•    Fall 1: Er lässt sich mit Genuss betrügen und legt sich aufs Faulbett – damit stellt er sich gegen Gott und dessen Konzept und Prognose.
•    Fall 2: Es gibt für ihn ein Ende der Sehnsucht, des Strebens im maximal schönen Au-genblick. Das wird nicht weiter ausgeführt, hat aber nichts mit seinem eigentlichen Er-kenntnisstreben zu tun.
•    Die spannende Frage ist, ob Fall 2 eine Folge von Fall 1 ist. Das würde bedeuten, dass Fall 2 dann letztlich auch wie Fall 1 Verrat an Gott ist.

b.    Mephisto
•    stellt sich ganz klar gegen das Erkenntnisstreben, hat da nichts zu bieten.
•    Ja er will sogar lügen und betrügen – also genau das tun, wovor Faust sich hüten will und muss.
•    Er will Faust auch nur „Unbedeutendes“, „Flaches“ bieten.
•    Allerdings glaubt er, Faust in „Unersättlichkeit“ halten zu können – was wohl mit einer falschen Art von Genuss zusammenhängt. Damit zeigt er aber auch, dass er gegen Faust nicht im Sinne des Paktes gewinnen kann, sondern nur dadurch, dass der sich selbst zum Opfer fällt. Das wird von Mephisto in 1866/67 auch angedeutet. Es gibt also eine zweite Gefahr für Faust – unabhängig von Mephisto, aber durch ihn wohl noch verstärkt.

6.    Fazit:
a.    Faust ist ein Unglück für andere, aber das muss in allen Fällen relativiert werden.
b.    Eventuell sind die Opfer sogar Teil von Gottes Konzept, also eine Art Kollateralschaden – im Falle Gretchens mit einer Art göttlichen Ausgleichsleistung („ist gerettet“)
c.    Gott hat als „Gärtner“ einen Plan und sieht „Früchte“ voraus – Mephisto stellt die Oberhoheit Got-tes nicht in Frage, hat also eigentlich fast keine Chance, außer, wenn Faust sich selbst zum Opfer fällt.
d.    Faust stellt zwei Bedingungen, die Mephisto nicht positiv erfüllen will.
e.    Also: Fausts Weg im ersten Teil der Tragödie entspricht genau dem, was der HERR vorausgesagt hat und als Konzept nutzt, um die Menschen auf dem „rechten Weg“ des Strebens zu halten.

Aber: Während Gretchen in der Kerkerszene bereits am Ziel Gottes ist, muss Faust noch weiter mit Mephisto das Pakt-Experiment durchspielen – offen bleibt die Frage, ob er am Ende auch gerettet wird – die Zeichen aus dem Prolog stehen gut. Dazu kommt, dass es mehrere Stellen gibt, an denen Faust sich schon im ersten Teil gegen Mephisto stellt (von Auerbachs Keller und der Hexenküche hält er nicht viel, später kritisiert er Mephisto heftig wegen Gretchens Schicksal).

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