Neuer Text

Vergleich George und Rilke "Herbsttag"

Vergleich der Gedichte "komm in den totgesagten park" von Stefan George und "Herbsttag" von Rainer Maria Rilke


Wenn man die beiden Gedichte vergleicht, fällt auf:

  1. Bei George ist der Park am Anfang totgesagt und wird dann gewissermaßen zum Leben erweckt. Bei Rilke geht es dagegen um den Abschluss eines großen Sommers, also Aufstieg gegen Niedergang.
  2. Bei George soll der Leser aktiv werden, aus der Natur noch mehr machen – bei Rilke soll eine übergeordnete Instanz ihr Jahreszeitenwerk positiv vollenden, es geht um Ernte
  3. Auch bei George gibt es am Ende den Eindruck, dass da etwas vergeht, aber der Mensch kann es erhalten, bei Rilke dagegen ein melancholischer Schluss-Hinweis auf die, die nicht vorgesorgt haben oder es konnten.
  4. Insgesamt kann man sagen, dass das Gedicht von George positiver angelegt ist als das von Rilke, auch wenn dort zumindest auch von Ernte die Rede ist.
  5. Dazu kommt, dass das Gedicht von George ganz innerweltlich bleibt, allenfalls die Natur als Rahmen für die Existenz des Menschen erscheinen lässt, während Rilke sich an eine höhere Instanz wendet.


Stefan George,

Komm in den totgesagten park

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade.
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Das Gedicht beginnt mit einer Aufforderung, die Schönheit der Natur wahrzunehmen.







Dort nimm das tiefe gelb, das weiche grau
Von birken und von buchs, der wind ist lau.
Die späten rosen welkten noch nicht ganz.
Erlese küsse sie und flicht den kranz.

Auf die Wahrnehmung folgt die Aktivität. Man soll aus der Natur das nehmen, was man für einen schönen Kranz benötigt. Wichtig ist dabei die Art und Weise, wie das geschehen soll, nämlich „erlesend“ (also sorgfältig wählend)  und „küssend“.

Vergiss auch diese lezten astern nicht.
Den purpur um die ranken wilder reben
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.


Das Gedicht endet mit der Mahnung, ganz bestimmte Dinge nicht zu vergessen. Man merkt deutlich, dass es dem Lyrischen Ich darum geht, von „grünem Leben’“ so viel zu erhalten, wie möglich ist. Am Ende dann noch eine Personifizierung des Herbstes – man merkt, die Natur wird hier als eine übergeordnete Instanz angesehen, die man achten und in die man sich einfügen soll.

1897


Rainer Maria Rilke

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Dieses Gedicht wendet sich am Anfang an eine wohl göttlich zu verstehende Instanz – wohl mit einem dankbaren Rückblick auf den Sommer und der Aufforderung, nun auch die nächste Jahreszeit, also den Herbst beginnen zu lassen. Man hat den Eindruck, dass hier eine Art Sättigung vorliegt und man jetzt bereit ist für die nächste Phase.



Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Die zweite Strophe verschiebt dann den Akzent. Jetzt geht es um die Bitte um Vollendung dessen, was zum Spätsommer gehört, nämlich die Ernte.



Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Die letzte Strophe setzt mahnende, vielleicht auch düstere Akzente. Es geht um die Menschen, die kein Haus haben – sicher in einem übergeordneten Sinne einer Heimstatt, dann um die, die allein sind. Den Schluss bildet dann eine Schilderung dessen, was solchen einsamen Menschen an Möglichkeiten bleibt.



21.9.1902, Paris


Share by: