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Goethes "Iphigenie" als Werk der Klassik

Goethes "Iphigenie auf Tauris" als Werk der Klassik

Worum es geht...

Goethes Drama „Iphigenie auf Tauris“ gilt als Musterbeispiel für die Weimarer Klassik.
Das schauen wir uns im Folgenden mal genauer an.

Die Weimarer Klassik - Vom Scheitern einer Revolution zur "schönen Seele" der Iphigenie

  • Nach dem Scheitern und den Schrecken der Französischen Revolution: Ziel eher harmonischer Ausgleich von Gegensätzen statt Empörung und Gewalt
  • Dazu gehört aber auch ein entsprechender Mensch – es war ja vor allem Schiller, der darauf hingewiesen hat, dass die Menschen offensichtlich noch nicht reif waren für eine neue Gesellschaft und vor allem den besten Weg dorthin.
  • Schiller glaubte an eine entsprechende Wirkung von „ästhetischer Erziehung“ – und die sollte und konnte für ihn vor allem im Theater stattfinden: „Die Schaubühne als moralische Anstalt.“
  • https://www.schnell-durchblicken.de/durchblick-auch-in-deutsch/schiller-kabale-und-liebe-tipps-und-infos/schillers-theatertheorie/
  • Das ist in gewisser Weise eine Weiterentwicklung der Katharsis von Aristoteles: Der Mensch soll erschüttert werden – und dabei von negativen Gefühlen gereinigt werden und zu positiven Handlungen im Sinne der Gesellschaft fähig sein.
  • Schiller wollte am liebsten auch noch lange nach ihrem Tod große Verbrecher auf die Bühne bringen und dort gewissermaßen nachträglich richten.
  • Als Wirkung erhofften er und Goethe sich am Ende gebesserte Menschen. Sie brachten das in das Bild der „schönen Seele“ stehen, die Pflicht und Neigung in sich zum Ausgleich bringt.
  • Und da sind wir bei Iphigenie, der Goethe selbst bescheinigte, sie sei „verteufelt human“ – und da haben wir einen weiteren Schlüsselbegriff, nämlich „Humanität“.
  • Natürlich gehören nicht nur entsprechende Stoffe, Themen und Aussagen zur Klassik, sondern auch eine bestimmte Form.
  • Dazu gehört zum einen eine besondere Form des „geschlossenen Dramas“, das eine klare Charakterentwicklung zeigt und zudem eine feste Form – meist ein fünfaktiges Drama, das wie eine Pyramide aufgebaut ist. Weiter unten gehen wir genauer darauf ein.
  • Außerdem eine hohe Sprache – und das heißt eine sehr ausgefeilte, anspruchsvolle Sprache sowie die Versform.


Check der Iphigenie von Goethe – Teil 1: Der Stoff

  • Zunächst mal der Stoff – aus der griechischen Antike: Es geht die Hybris eines Menschen (Tantalos), der alle weiteren Generationen seiner Familie belastet -> ständig Mord und Totschlag.
    • Wer sich für Details interessiert: Tantalos will bei einem Gastmahl die Götter testen und bringt seinen eigenen Sohn Pelops als Fleischgericht auf den Tisch - man erschautert regelrecht angesichts dieser abgrundtiefen Unmenschlichkeit
    • eine Göttin isst ein Stück Schulter
    • der Rest merkt es und sorgt dafür, dass der Sohn wieder "zusammengesetzt" wird - das fehlende Stück wird durch Elfenbein ersetzt.
    • Tantalos wird in die Unterwelt geschickt und erleidet die sprichwörtlich gewordenen "Tantalos-Qualen", d.h. er steht in einem Teich und wenn er etwas trinken will, weicht das Wasser vor ihm zurück; will er nach den Früchten an Zweigen über ihm greifen, geraten die auch außer Reichweite. Außerdem schwebt über dem Übeltäter ein Felsbrock, der jederzeit herabstürzen und ihn erschlagen kann.
    • Für die Nachkommen gilt, dass in den nachfolgenden Generationen immer wieder ein Familienmitglied ein anderes tötet, was die Gesamtschuld der "Tantaliden" vergrößert.
  • Sogar noch in Iphigenies Familie: Agamemnon, der Vater Iphigenies, reizt die Göttin der Jagd, Diana, die rächt sich, indem sie seiner Flotte, die gegen Troja ziehen soll, den Wind nimmt.
  • Dann die Lösung: Die Tochter des Übeltäters, Iphigenie, soll geopfert werden, was auch angegangen wird – im letzten Moment greift die Göttin ein, legt eine Hirschkuh auf den Altar und entführt das bedrohte Mädchen. Es wird Priesterin bei den Taurern, einem wilden Volk.
  • Iphigenies Mutter kann die Aktion ihrem Mann nicht verzeihen und lässt ihn nach seiner Rückkehr vom Feldzug ermorden.
  • Das bringt nun wieder Iphigenies Bruder Orest auf den Plan, er bringt seine Mutter um und wird anschließend von den Rachegöttinnen verfolgt.
  • Er bekommt den Rat vom Orakel in Delphi, er solle die Statue Dianas, der Schwester Apollos, stehlen und nach Griechenland bringen.
  • Fazit: Ein berühmter, häufig behandelter Stoff – dazu eine Königsfamilie, das entspricht der Forderung nach Fallhöhe bei Aristoteles, dessen Lehre vom Theater in der Geschichte eine große Rolle spielte.
  • Es gibt auch noch ein kleines Problem: Bei Euripides, der den Stoff schon im alten Griechenland auf die Bühne brachte, muss am Ende die Göttin Athene eingreifen. So etwas nannte und nennt man "Deus ex machina", d.h. wenn es zu verwickelt wird, taucht einfach ein Gott aus der "Maschine", aus dem Bühnenhintergrund, auf und spricht ein Machtwort. So etwas ist natürlich zu Goethes Zeiten nicht mehr glaubhaft - also musste er eine andere Lösung finden - und auf die gehen wir im Folgenden ein.
Übrigens haben wir unser Schaubild später noch erweitert, um das "Klassik-Potenzial" des Stoffes herauszustellen (oben rechts):
  1. Zum einen liegt ein Stoff aus der Antike vor - immer schon gut für "Klassik-Begeisterte".
  2. Dann geht es um eine Königsfamilie - das entspricht der Fallhöhe-Forderung des Aristoteles: Je höher jemand steht, der Probleme hat oder bekommt, umso stärker das Mitgefühl des Volkes - soll ja heute auch noch so sein, wenn es um die Reichen und Schönen und deren Schicksale geht.
  3. Außerdem präsentiert die Antike eine Lösung, die man hervorragend in Richtung der klassischen "schönen Seele" weiterentwickeln  kann.


Check Teil 2: Der „pyramidale“ Aufbau des Dramas

 Bei den Klassikern sehr beliebt war ein Drama aus fünf Akten, das symmetrisch aufgebaut war.
  • I. Akt: Es beginnt mit der Exposition, die die Figuren und den Konflikt präsentiert.
    • Monolog der Iphigenie, die ihre Sehnsucht nach der griechischen Heimat zeigt. Berühmt geworden ist die Wendung: „das Land der Griechen mit der Seele suchend“.
    • Neben der Sehnsucht nach dem Mutterland der abendländischen Kultur kommt hier die Seele ins Spiel – neben dem Herzen das Zentrum von Gefühl und Bildung.
    • Dazu kommt dann eine erstaunlich modern wirkende Klage über das Schicksal der Frauen,
    • Das wird dann aber gleich aufgelöst, indem Arkas, der Bote des Königs Thoas erscheint und an den Wunsch erinnert, dass der König Iphigenie heiraten will. Iphigenie lehnt das ab und damit ist der Konfliktfall da.
    • Im Gespräch mit dem König gibt es eine Steigerung des Konfliktes, nämlich die direkte Konfrontation. Iphigenie bleibt beim Nein wegen Griechenland und wegen ihrer Stellung als Priesterin, was natürlich schon etwas vorgeschoben ist. Nicht einmal der Hinweis auf den Fluch, der auf ihrer Familie lastet, kann den König abhalten, am Ende droht der damit, die Menschenopfer wieder einzuführen und gleich mit zwei Leuten zu beginnen, die seine Soldaten gerade gefasst haben.
    • Interessant sind die unterschiedlichen Vorstellungen von Thoas und Iphigenie, was die Forderungen von Göttern nach Menschenopfern angehen. Hier zeigt sich noch die alte barbarische Vorstellung und eine moderne, sehr viel menschlichere. Daran sieht man dann später, dass der König sich im Laufe des Dramas auch weiter entwickelt.
    • Die Exposition endet dann mit einem Gebet Iphigenies an Diana, ihre Göttin. Damit taucht die Frage auf, ob wie in der antiken Tragödie am Ende die Göttin direkt eingreift oder ob Goethe eine andere Lösung findet.
  • Dann die Steigerung des Konflikts,
    • Der zweite Akt stellt dann eine Steigerung da, weil Orest und Pylades als die Gefangenen von König Thoas auftauchen. Hier muss man erst mal einen kleinen Exkurs machen, um zu verstehen, was deren Hintergrund ist.
    • Die Mutter Iphigenies war so erzürnt über die Opferungsbereitschaft des Vaters, dass sie ihn nach seiner Rückkehr mit ihrem Geliebten zusammen umgebracht hat. Der Sohn Orest, also der Bruder von Iphigenie, sieht es als eine Pflicht an, die Mutter für die Ermordung des Vaters zu bestrafen, also auch zu töten. Hier sieht man die Zwänge von zwei gegensätzlichen Notwendigkeiten,
    • denn nun wird Orest von den Rachegöttinnen verfolgt. Ihm wird vom Orakel des Gottes Apollo als Lösung angeboten, die Schwester von den Taurern zurückzubringen. Er glaubt, dass es sich um das Standbild der Diana, der Schwester des Apollo handelt. Dass seine eigene Schwester dort ist, weiß er ja nicht.
    • Pylades hofft auf die Priesterin, von deren guten Taten er gehört hat, er verwendet erst mal falsche Name, erzählt aber die wahre Geschichte bis zum Tod von Iphigenies Vater. Dass auch die Mutter umgebracht worden ist und das noch von ihrem Bruder, bleibt hier noch unerwähnt.
  • III. Akt: Höhe- oder auch Wendepunkt
    • Anschließend erfährt Iphigenie von Orest die ganze Wahrheit, nämlich dass er ihr Bruder ist und dass er ihre Mutter umgebracht hat. Orest selbst will angesichts seiner von den Rachegöttinnen verstärkten Schuldgefühle sterben. Vom Orakel erzählt er noch nichts, das behält sich Goethe für den Schluss auf. Man sieht hier deutlich, wie sehr die Geschichte konstruiert ist, damit sie funktioniert.
    • Weitere Nachfragen Iphigenies führen dann dazu, dass sie im Fremden ihren Bruder vermutet und der sich auch zu erkennen gibt. Während sie sich freut, sieht Orest in der aktuellen Lage (sie soll ihn ja opfern) nur ein weiteres Glied in der Kette des Unheils ihrer Familie.
    • Er verfällt schließlich in eine Art Ohnmacht, aus der er durch Iphigenie und Pylades geweckt wird. Ihr Gebet und ihre Ermutigung lassen ihn wieder Hoffnung schöpfen, ja er fühlt sich sogar nicht mehr von den Rachegöttinnen verfolgt. Jetzt ist der Wunsch natürlich da, mit Iphigenie zu fliehen.
    • Hier wird deutlich, dass das hier nicht der normale Glückswechsel in der Tragödie ist, bei dem meistens der Held abstürzt. Hier ist es etwas anders: Zunächst ist das das Glück des Erkennens und der Heilung – allerdings hat damit die Dramatik schon einen Höhepunkt erreicht, denn jetzt geht es nicht mehr nur um zwei verschiedene Schicksale, sondern um ein gemeinsames – das wiegt sicher schwerer.
  • IV. Akt: Dann noch eine Phase der Verzögerung (Retardation)
    • In einem Monolog über die Vorschläge des Pylades wird Iphigenies Zerrissenheit deutlich.
    • Gegenüber Arkas aber spielt sie das Verzögerungsspiel, das Pylades ihr empfohlen hat.
    • In einem weiteren Monolog werden Iphigenies Bedenken aber noch stärker, weil Arkas sie darauf hingewiesen hat, wieviel sie bei Thoas und den Taurern schon positiv erreicht hat.
    • In der vierten Szene erscheint dann wieder Pylades und bittet sie, dem König etwas vorzulügen, damit sie in Ruhe das Götterbild stehlen können. Das belastet Iphigenie noch mehr.
    • Am Ende des Aktes noch mal ein Monolog, in dem Iphigenie ihre ganze Zerrissenheit zeigt, auf der einen Seite die Götter bittet: „Rettet mich. / Und rettet euer Bild in meiner Seele.“ Anderseits präsentiert Iphigenie das alte Parzenlied, das ein negatives Bild der Götter entwirft.
  • V. Akt: Und schließlich die Lösung des Konflikts, meist auf tragische Weise.
    • Arkas sorgt dafür, dass Thoas Verdacht schöpft und zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen ergreift.
    • In der 2. Szene wird in einem Monolog des Königs deutlich, dass er glaubt, gegenüber Iphigenie zu großzügig gewesen zu sein. Jetzt besteht die Gefahr, dass nicht nur die drei Griechen zum Opfer werden, sondern auch der Zuwachs an Humanität durch das Wirken von Iphigenie.
    • In einem weiteren Gespräch mit Tours entschließt sich Iphigenie spontan, dem König die Wahrheit zu sagen, anschließend ist sie sofort entsetzt, weil sie weiß, dass sie damit sie alle in Lebensgefahr gebracht hat.
    • Der König wird von ihr daran erinnert, dass er ihr versprochen hat, sie gehen zu lassen, wenn sie eine Chance hat, ihre Familie wieder zu sehen. Die Situation ist jetzt da. D.h. Iphigenie muss den König nur noch überzeugen, dass Orest wirklich ihr Bruder ist und nicht ein Betrüger, der nur sein Leben retten will.
    • Nachdem das gelungen ist, bleibt noch die Frage offen, was nun mit dem Bild der Diana geschehen soll. Von Thoas kann man ja nicht verlangen, dass er einfach darauf verzichtet. Hier kann jetzt Goethe endlich den nächsten Joker durch Orest ziehen lassen, dem plötzlich auffällt oder auch einfällt, dass mit dem Orakelspruch nicht die Schwester des Gottes gemeint ist, sondern seine Schwester.
    • Damit bleibt nur noch die Frage offen, wie jetzt die Beziehung zwischen Iphigenie und Thomas letztlich gestaltet wird. Es gelingt ihr, den König von der distanzierten Aufforderung „So geht!“ zu der sehr viel freundlicheren „Lebt wohl!“ zu bringen.
    • Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass das Happy End natürlich auch ein Opfer hinterlässt, denn der König hat jetzt nichts mehr in der Hand. Er verhält sich zwar äußerst human und zeigt damit auch, dass der Barbar Roman werden kann, was ihm schon viel bedeutet. Aber er ist eben auch derjenige, der dafür den größten Preis bezahlt.


Check Teil 4: Die drei Einheiten des Aristoteles
  • Der Ablauf der Handlung macht deutlich, dass sie eindeutig linear verläuft. Es gibt keine Nebenhandlungen – alles läuft konsequent auf Entwicklung und Lösung der Konfliktlage zu. Eine ernstzunehmende Nebenhandlung gibt es nicht.
  • Außerdem gibt es im wesentlichen nur einen einzigen Ort, an dem alles geschieht – zumindest hat man als Zuschauer das Gefühl. Dazu kommt, dass es keine genauen Zeitangaben gibt und so auch die Einheit der Zeit, d.h. eines einzigen Tages, von den Zuschauern empfunden wird.

Check Teil 3: Die moralische Haltung der Klassik
  • Kommen wir jetzt zu weiteren Aspekten der Klassik: Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass der Stoff und die Hauptfigur für Klassik sprechen.
  • Hinzu kommt jetzt noch die Wahl zwischen Pflicht und Neigung, hier wird Iphigenie als idealer Mensch vorgestellt, der sich richtig entscheidet, wenn auch erst nach langem inneren Kampf.

Check Teil 4: Das Menschen- und Götterbild
  • Klassisch ist auch, dass die Lösung des Problems nicht über den Deus Ex Machina, den „Gott aus der Maschine“ erfolgt wie im antiken Drama, sondern dass moralische Entscheidungen das gute Ende ermöglichen, zunächst von Iphigenia, dann auch von Thoas.
  • In diesen Zusammenhang gehört noch ein weiteres klassisches Element, nämlich die Einstellung gegenüber den Göttern, die zwar angebetet werden wie in dem Gedicht „Das Göttliche“, an denen man sich also orientiert, die aber nicht direkt eingreifen.
  • Letztlich sind die Verhältnisse genau so wie im Gedicht: Die Menschen, d.h. hier vor allem Iphigenie, verhalten sich so, als ob es Götter gäbe, und wenden sich an sie mit der Bitte, diesen Eindruck zu erhalten. Am Ende geschieht das Göttliche durch das Wirken der Menschen.
  • Interessant, dass dabei nicht nur Iphigenie eine entscheidende Rolle spielt, sondern eben auch der König. Er zeigt damit – und ist ja auch erkennbar stolz darauf, dass auch ein Barbar zur Humanität finden kann.
  • Das Tragische ist dabei, dass Thoas als Einziger am Ende leer ausgeht – er gibt in allen Punkten nach und behält nichts als ein gutes moralisches Gefühl, aber in Einsamkeit.
  • Von daher sollte das Stück eigentlich zumindest „Iphigenie und Thoas“ heißen.

Check Teil 5: Das Drama als Erziehungsprogramm
  • Typisch für die Klassik ist auch eine gewisse Lehrhaftigkeit, die dazu führt, dass die Menschen eher als Typen gezeigt werden als in einer modernen Gebrochenheit.
  • Insgesamt hat wohl Goethe an dieser Stelle auch ein bisschen Bedenken gehabt, denn er sagt ja selbst, dass ihm seine Iphigenie „verteufelt human“ geraten sei, was soviel heißt wie doch sehr extrem.
  • Hieran lassen sich interessante Diskussionen knüpfen, wieviel Menschen überhaupt und besonders in unserer Zeit auch der moralischen und religiösen bzw. weltanschaulichen Vielfalt als Vorbilder „des Göttlichen“ bewirken können.

• Check Teil 6: Anspruchsvolle Form und Sprache
Zur Klassik gehört auch, dass Goethe das Drama am Ende in eine strenge Versform übertrug, nämlich fünfhebige Jamben.

Prosafassung 
„Heraus in eure Schatten, ewig rege Wipfel des heiligen Hains, hinein ins Heiligtum der Göttin, der ich diene, tret´ ich mit immer neuem Schauer und meine Seele gewöhnt sich nicht hierher!“

Versfassung
Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
Des alten, heil´gen, dicht belaubten Haines
Wie in der Göttin stilles Heiligtum,
Tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
Als wenn ich sie zum ersten Mal beträte,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.

  • Man merkt hier deutlich, dass die linke Fassung einem doch ziemlich „am Ohr vorbeirauscht“, während die Verfassung deutlich mehr Wirkung macht, sich besser einprägt.
  • Aus der Prosafassung erhalten geblieben sind vielfältige Zeilensprünge, die längere Gedankengänge ermöglichen, so dass auch in diesem Sinne das Drama eher klassische Ansprüchen genügt, weil es eben Nachdenklichkeit zeigt und auch Nachdenklichkeit hervorruft beim Zuschauer.
  • Der gleiche Effekt wird auch erreicht durch den vielfältigen Einsatz von Stichomythie, damit ist gemeint, dass ein Sprecher und ein gegen Sprecher einen engen Wortwechsel präsentieren.
  • An vielen Stellen gibt es dann auch sentenzartige Formulierungen, also solche, die schon fast sprichwörtlichen Charakter haben beziehungsweise entwickeln. Beispiele:
„Du sprichst ein großes Wort gelassen aus.“
„Oder man spricht vergebens viel um zu versagen, der andere hört von allem nur das Nein.“ 

Check Teil 7: Die Frage einer fortdauernden Bedeutung des Dramas
  • Zur Klassik gehört auch der Anspruch, Themen und Positionen zu besetzen, die eine dauerhafte Bedeutung behalten.
  • Hier waren die alten Griechen und viele nach ihnen der Meinung, am meisten Wirkung entfalte eine Tragödie, da sie die größte Erschütterung und auch Mitgefühl erzeuge, aus dem moralische Nachwirkungen entstehen können.
  • Eine Tragödie ist „Iphigenie auf Tauris“ nun wirklich nicht, eine Komödie schon gar nicht, vielleicht eine besondere Art und Weise von Lehrstück. Nicht von ungefähr wird Iphigenie häufig mit Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ verglichen. Hintergrund bei Goethe ist: Er mochte keine Tragik – um den Tod machte er einen großen Bogen.
  • Damit steht dann die Frage im Raum: Woher kann die gewünschte Wirkung kommen, wenn nicht aus einem tragischen Ende. Bei Brecht sind es die Verhältnisse, die kritisiert werden, besonders das Tigerlied der jungen Mutter, die nicht möchte, dass ihr Neugeborenes in genauso schlechten Verhältnissen lebt wie sie selbst. Aber bei Goethe? Es ist doch ein sehr innerlicher Konflikt, der da ausgetragen wird. Es gibt da eigentlich keine böse Welt – außer der der Götter, die immerhin eine Art Sippenhaft verhängt haben – und der entgeht die Familie zumindest mit und seit Iphigenie.
  • Letztlich ist es die Frage der Entscheidung zwischen Pflicht (zur Wahrheit) und Neigung (Erfüllung der eigenen Wünsche) – und dieser Konflikt besteht immer, ganz gleich, ob man zu den Reichen oder zu den Armen gehört.
  • Dazu kommt die implizite Botschaft, dass Wahrhaftigkeit am Ende belohnt wird. Ob dieser verteufelt humane“ Ansatz stimmt, kann – wie oben schon angedeutet zumindest diskutiert werden.
  • Auf jeden Fall braucht die Menschheit wohl Brecht und die von ihm geforderte Veränderung der Gesellschaft, aber eben auch Goethe und seine Iphigenie und damit die Veränderung des Menschen.


Check Teil 7: Die Frage einer fortdauernden Bedeutung des Dramas

  • Zur Klassik gehört auch der Anspruch, Themen und Positionen zu besetzen, die eine dauerhafte Bedeutung behalten.
  • Hier waren die alten Griechen und viele nach ihnen der Meinung, am meisten Wirkung entfalte eine Tragödie, da sie die größte Erschütterung und auch Mitgefühl erzeuge, aus dem moralische Nachwirkungen entstehen können.
  • Eine Tragödie ist „Iphigenie auf Tauris“ nun wirklich nicht, eine Komödie schon gar nicht, vielleicht eine besondere Art und Weise von Lehrstück. Nicht von ungefähr wird Iphigenie häufig mit Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ verglichen. Hintergrund bei Goethe ist: Er mochte keine Tragik – um den Tod machte er einen großen Bogen.
  • Damit steht dann die Frage im Raum: Woher kann die gewünschte Wirkung kommen, wenn nicht aus einem tragischen Ende. Bei Brecht sind es die Verhältnisse, die kritisiert werden, besonders das Tigerlied der jungen Mutter, die nicht möchte, dass ihr Neugeborenes in genauso schlechten Verhältnissen lebt wie sie selbst. Aber bei Goethe? Es ist doch ein sehr innerlicher Konflikt, der da ausgetragen wird. Es gibt da eigentlich keine böse Welt – außer der der Götter, die immerhin eine Art Sippenhaft verhängt haben – und der entgeht die Familie zumindest mit und seit Iphigenie.
  • Letztlich ist es die Frage der Entscheidung zwischen Pflicht (zur Wahrheit) und Neigung (Erfüllung der eigenen Wünsche) – und dieser Konflikt besteht immer, ganz gleich, ob man zu den Reichen oder zu den Armen gehört.
  • Dazu kommt die implizite Botschaft, dass Wahrhaftigkeit am Ende belohnt wird. Ob dieser verteufelt humane“ Ansatz stimmt, kann – wie oben schon angedeutet zumindest diskutiert werden.
  • Auf jeden Fall braucht die Menschheit wohl Brecht und die von ihm geforderte Veränderung der Gesellschaft, aber eben auch Goethe und seine Iphigenie und damit die Veränderung des Menschen.
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