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Schopenhauer, Auszug aus "Schriftstellerei und Stil"

Schopenhauer, Über Schriftstellerei und Stil (Auszug)

Oder der Versuch, einen schwierigen Text zu verstehen.

Auszug aus:
Arthur Schopenhauer
Ueber Schriftstellerei und Stil
(Kapitel XXIII von Parerga und Paralipomena II)

§. 274.

Ein Buch kann nie mehr seyn, als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Werth dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in Dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d.h. der Bearbeitung des Stoffs, also in Dem, was er darüber gedacht hat. Das Worüber ist gar mannigfaltig, und eben so die Vorzüge, welche es den Büchern ertheilt. Aller empirische Stoff, also alles historisch, oder physisch, Thatsächliche, an sich selbst und im weitesten Sinne genommen, gehört hieher. Das Eigenthümliche liegt dabei im Objekt; daher das Buch wichtig seyn kann, wer auch immer der Verfasser sei.

Beim Was hingegen liegt das Eigenthümliche im Subjekt. Die Gegenstände können solche seyn, welche allen Menschen zugänglich und bekannt sind: aber die Form der Auffassung, das Was des Denkens, ertheilt hier den Werth und liegt im Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich und ohne Gleichen; so ist es sein Verfasser auch. Hieraus folgt, daß das Verdienst eines lesenswerthen Schriftstellers um so größer ist, je weniger es dem Stoffe verdankt, mithin sogar, je bekannter und abgenutzter dieser ist. So z.B. haben die drei großen griechischen Tragiker sämmtlich den selben Stoff bearbeitet.

Also soll man, wenn ein Buch berühmt ist, wohl unterscheiden, ob wegen des Stoffs, oder wegen der Form.

Ganz gewöhnliche und platte Menschen können, vermöge des Stoffs, sehr wichtige Bücher liefern, indem derselbe gerade nur ihnen zugänglich war: z.B. Beschreibungen ferner Länder, seltener Naturerscheinungen, angestellter Versuche, Geschichte, deren Zeuge sie gewesen, oder deren Quellen aufzusuchen und speciell zu studiren sie Mühe und Zeit verwendet haben.

Hingegen wo es auf die Form ankommt, indem der Stoff Jedem zugänglich, oder gar schon bekannt ist; wo also nur das Was des Denkens über denselben der Leistung Werth geben kann; da vermag nur der eminente Kopf etwas Lesenswerthes zu liefern. Denn die Uebrigen werden allemal nur Das denken, was jeder Andere auch denken kann. Sie geben den Abdruck ihres Geistes: aber von dem besitzt Jeder schon selbst das Original.

Das Publikum jedoch wendet seine Theilnahme sehr viel mehr dem Stoff, als der Form zu, und bleibt eben dadurch in seiner höheren Bildung zurück.

Das diesem schlechten Hange fröhnende Unternehmen, durch den Stoff zu wirken, wird absolut verwerflich in Fächern, wo das Verdienst ausdrücklich in der Form liegen soll, – also in den poetischen. Dennoch sieht man häufig schlechte dramatische Schriftsteller bestrebt, mittelst des Stoffes das Theater zu füllen: so z.B. bringen sie jeden irgend berühmten Mann, so nackt an dramatischen Vorgängen sein Leben auch gewesen seyn mag, auf die Bühne, ja, bisweilen ohne auch nur abzuwarten, daß die mit ihm auftretenden Personen gestorben seien.






  • Unterscheidung zwischen dem Stoff eines Buches und dem, was der Schriftsteller daraus gemacht hat.





  • Wenn der Stoff dominiert, ist es letztlich gleichgültig, wer das Buch geschrieben hat.




  • Wenn ein Schriftsteller aber aus einem bekannten Stoff etwas ganz eigenes, Besonderes macht, dann ist das eigentlich die Leistung.









  • Hinweis auf Leute, die einfach Glück hatten, weil der Stoff ihnen alleine gehörte. Daraus lässt sich dann leicht etwas Bedeutendes machen.




  • Wenn aber ein Schriftsteller einen bekannten Stoff wählt, dann kommt es darauf an, dass er daraus etwas Besonderes, etwas Neues macht - und das mann "nur der eminente Kopf".



  • Klage über das Publikum, das nur an Stoffen interessiert ist, also letztlich an besonderen Inhalten, nicht an der besonderen Art und Weise, wie sie dargestellt worden sind.


  • Diese falsche Akzentsetzung beklagt Schopenhauer vor allem bei poetischen Werken, also bei der Literatur. Er bringt dafür als Beispiel das Theater, die sich einfach um irgendeinen berühmten Mann reißen, weil dessen Vorstellung eben schon reicht, um selbst schon als Autor berühmt zu werden.






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