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Eichendorffs "Abschied" als Reisegedicht


Joseph von Eichendorff, "Abschied" als "Unterwegs-Gedicht" - Reise als Weg in die Fremde

Im Folgenden zeigen wir, wie man ein Gedicht unter einem thematischen Gesichtspunkt interpretieren kann.
In diesem Falle geht es um das "Unterwegs-Sein" bzw. das Reisen.

Der Trick ist der, dass man das Gedicht ganz normal analysiert, dabei aber immer schon auf das Thema achtet. Man stellt sich also die Frage, was das Gedicht zum Thema "Unterwegssein" bzw. Reisen hergibt.
Joseph von Eichendorff

Abschied

O Täler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt'ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft'ge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!
  • Am Anfang hat man hier noch nicht das Gefühl, dass das lyrische Ich unterwegs, also in Bewegung ist. Vielmehr spricht es ja den Ort an, an dem es sich befindet, und drückt aus, was es dabei fühlt.
  • Es ist sogar wortwörtlich von "Aufenthalt" die Rede. Das aber ist schon ein Wort, was bedeutet, dass man an der Stelle nur für eine bestimmte Zeit ist.
  • In der zweiten Hälfte der ersten Strophe geht es dann um die Gegenwelt zu dieser natürlichen Welt.
  • Allein schon das Wort "betrogen" macht deutlich, dass diese Welt mit den Menschen etwas Schlechtes macht, wovon man sich besser fern hält.
  • Dementsprechend betont das lyrische Ich am Ende auch, dass die natürliche Umgebung so etwas ist wie ein Zelt im Sinne einer schützenden Umstellung.
  • Das macht dann noch einmal deutlich, dass das lyrische Ich eben hier keinen dauerhaften Platz gefunden hat, es ist wirklich nur ein "Aufenthalt", den man sich zwischenzeitlich gönnen kann. Offensichtlich wartet auf einen dann diese "geschäft'ge" Welt mit all ihren Unannehmlichkeiten und Betrugsabsichten.
  • Fassen wir die erste Strophe unter dem Gesichtspunkt des "Unterwegssseins" zusammen:
    • Das lyrische Ich ist an einem schönen Ort,
    • weiß aber, dass es daneben einen anderen, weniger schönen, ja bedrohlichen Platz gibt, zu dem es offensichtlich aufbrechen muss.

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

  • Die zweite Strophe blickt dann gewissermaßen noch mal zurück, versucht den Moment festzuhalten, in dem es die Schönheit eines Morgens in natürlicher Umgebung beschreibt.
  • In der zweiten Hälfte der Strophe wird deutlich, was das lyrische Ich mit einem solchen Morgen verbindet, nämlich das Verschwinden all dessen, was als unangenehm beziehungsweise bedrohlich empfunden wird. Und man erwartet sich von einem solchen Tag noch mehr, das Maximale an Schönheit, was es nur geben kann.
  • Wichtig ist sicherlich auch noch das Adjektiv "jung", d.h. ein Morgen in einer solchen Umgebung wird verbunden mit der Zeit des Menschen, in der man noch alle Hoffnungen hat und große Kräfte in sich spürt.
  • Unter dem Gesichtspunkt des "Unterwegsseins" geht es hier darum, dass das lyrische Ich vor seinem wahrscheinlich erzwungenen Weggang noch einmal Kraft tankt, hier zunächst auf der Ebene der inneren Bilder, der Erinnerungen, die man mitnimmt.

Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Tun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte, schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Wards unaussprechlich klar.

  • Die dritte Strophe verbindet dann die Umgebung mit einer Art Aufforderung oder auch Mahnung an den Menschen.
  • Dabei geht es um das richtige Tun und um Liebe. Damit ist schon mal klar, dass hier nicht Rechthaberei gemeint sein kann, sondern es geht darum, diese beiden Dinge in einer Balance zu halten, nämlich das Richtige und das Liebevolle.
  • Die vierte Zeile ist eine Art Zusammenfassung all dessen, was für den Menschen wichtig ist. Ein "Hort" ist ja ein Platz, der Sicherheit bietet, in dem man im positiven Sinne aufbewahrt bleibt, sich also erhalten kann, nicht gefährdet ist.
  • Die zweite Hälfte dieser Strophe mach dann deutlich, dass das lyrische Ich diese Mahnung ernst nehmen will.
  • Ganz am Ende wird dann hervorgehoben, dass hier nicht irgendetwas Ä'ußerliches an das Wesen des lyrischen Ichs angeheftet oder angeklebt wird, sondern dass diese Grundsätze, Prinzipien, Lebensmaßstäbe tatsächlich das gesamte Wesen des lyrischen Ichs ausfüllen und sich damit in gewisser Weise auch bewahrheiten. Damit ist wohl gemeint, dass man diese hohen Ziele tatsächlich erreichen kann.
  • Was das "Unterwegssein" angeht, ist diese Strophe wohl so zu verstehen, dass das lyrische Ich so eine Art Sicherheitsgut mitnimmt auf dem Weg in die am Anfang angesprochene neue Umgebung der "geschäft'gen" Welt.
  • Im Verhältnis zur vorherigen Strophe geht es jetzt nicht mehr um Bilder, sondern um Maßstäbe, eine Art Moral. Damit ist aber nicht das gemeint, was man normalerweise darunter versteht, nämlich das Handeln nach ethischen Grundsätzen, sondern es geht um so etwas, wie im Sport: Wenn eine Mannschaft da Moral hat, dann gibt sie auch nach drei Gegentoren nicht auf, sondern kämpft weiter um die eigenen Ziele.

Bald werd ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

  • Die letzte Strophe bestätigt dann das, was der Leser von Anfang an vermuten musste, was ja auch ein Titel schon angedeutet wird, dass es hier um einen Abschied geht. Die schöne Gegend muss verlassen werden, es droht ein doppeltes Problem beziehungsweise eine doppelte Fremdheit:
    •  einmal die, die man in sich selbst spürt,
    • und zweitens eine, die durch die Umwelt ständig wieder auf einen einstürzt beziehungsweise einen belastet, die schon vorhandenen negativen Empfindungen in einem selbst noch verstärkt.
  • Interessant sind die dritte und vierte Zeile, denn dort geht es um Dinge, die wir heute einfach positiv besetzen, nämlich
    • bunt: Hier muss man erst mal nachdenken, was Eichendorff damit meinen könnte. Am einfachsten ist es zu verstehen, wenn man es mit der Welt der Natur vergleicht, dort ist Echtheit, Größe, in Eichendorffs Sinn auch Göttliches. In der "geschäft'gen" Welt der Städte dagegen wird man konfroniert mit viel Künstlichem. Heute könnte man an Werbung denken. Letztlich bedeutet das "Bunte" für Eichendorff deshalb wohl etwas "Künstliches", das vom Wesentlichen ablenkt.
    • bewegt: Hier geht es wohl darum, dass man in dieser fremden Welt der Geschäftigkeit gar nicht zur Ruhe kommt.
    • und Schauspiel: Damit ist gemeint, es wird eben etwas vorgespielt, es ist nicht echt.
  • Vor dem Hintergrund des bisherigen Lebens des lyrischen Ichs, seiner Erlebnisse und auch daraus gewonnenen Prinzipien ist dieses Leben in der Fremde etwas, wovor man sich bewahren muss. Man verliert dort seinen inneren Kern, seinen Kompass.
  • Vor diesem leichten, lockeren, bunten Spiel wird man durch des "Ernsts Gewalt" des früher genannten "stillen Worts" bewahrt, kann sich über das vordergründig bunte Leben "erheben" und wird auch nicht "alt". Hier wird an die Bedeutung des Morgens in der Natur erinnert, der sicher anders aussieht als nach einer Partynacht mit viel Alkohol.
  • Am Ende erreicht das lyrische Ich also eine höhere Position, von der aus es auch das Neue bewältigen kann.
  • In wie weit es das möglicherweise auch positiv aufnimmt oder wie Goethe sagt: "sich anverwandelt", bleibt in dem Gedicht offen.
Zusammenfassung - Auswertung
  • Auf jeden Fall macht dieses Gedicht zum Thema Unterwegssein" deutlich,
    • dass dabei eben auch die Fremde droht und das im wörtlichen Sinne mit Gefahren,
    • vor denen man sich schützen muss
    • und schützen kann,
    • nämlich durch Erinnerungen und Prinzipien und Maßstäbe die man in der Natur hat gewinnen können.


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