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Emanuel Geibel, "Der Mai ist gekommen" als Reisegedicht

Äußere Form des Gedichtes

Dafür, dass es sich um ein bekanntes Wanderlied handelt, erscheint das Gedicht sehr unrhythmisch.
Dementsprechend wird zum Beispiel aus dem ersten Wort der ersten beiden Zeilen meist ein zweisilbiges Wort gemacht. De-er Mai und Da-a.
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Normalerweise gibt es ja ein einfaches Verfahren, um den Rhythmus eines Gedichtes herauszufinden.
Man schaut sich erst die mehrsilbigen Wörter an (grün gefärbt) und notiert dort mit einem Akzent die natürliche Betonung.
"gekommen" ist zum Beispiel ein dreisilbiges Wort, das auf der zweiten Silbe betont wird.

Die vielen einsilbigen Wörter passt man dann meistens in das Zweierschema von Jambus und Trochäus an, wenn es vorliegt.

Hier ergibt sich aber das Problem, dass es diesen regelmäßigen Wechsel nicht gibt - auch die Abfolge von Hebung und zwei Senkungen (Daktylus) herrscht zwar vor, wird aber nicht durchgehalten.

Am besten hört man sich das Lied mal an - auf Youtube gibt es ja verschiedene Fassungen. Dann sieht man, wie die Sänger die Rhythmus-Probleme für sich gelöst haben, d.h. die Betonungen gesetzt und zum Teil sogar Wörter eingefügt haben.

Wer selbst mal versuchen will, das mit dem Rhythmus zu überprüfen, dem kann das folgende Video sicher helfen:

Was die Reime angeht, so ist das Gedicht sehr einfach in Paarreimen gefasst.
Da alle Verszeilen auf einer betonten Silbe enden, haben wir nur sogenannte "männliche" Verssschlüsse.

Wir zeigen hier nur unsere Bemühungen, die mögen dem einen oder anderen helfen.
Wir wenden uns lieber dem Inhalt zu.

Strophe 1:

Emanuel Geibel
 
01 Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
02 Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus!
03 Wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt,
04 So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

  • Das Gedicht beginnt mit einer Situationsbeschreibung, die verdeutlichen soll, dass im Mai der Frühling jetzt seine volle Kraft entfaltet.
  • Die zweite Verszeile geht auf die Frage ein, wie man denn mit dieser Situation umgehen soll. Das lyrische Ich beschreibt etwas spöttisch beziehungsweise kritisch, was man hier falsch machen kann, nämlich zu Hause zu bleiben.
  • Verbunden wird es auch noch mit einer bestimmten Vorstellung von dem Zuhause,  es ist nämlich mit Sorgen verbunden. Dabei kann es sich um den privaten, aber auch den beruflichen Bereich handeln.
  • Man merkt hier bereits, dass es zu dieser Welt der Sorgen auch eine Gegenwelt gibt, die anders ist.
  • Zunächst aber macht das lyrische Ich in Zeile 03 deutlich, was es selbst für eine richtige Reaktion hält. Es will sich nämlich der Natur anschließen und wie die Wolken sich dahintreiben lassen.
  • Wichtig ist noch der Hinweis auf das himmlische Zelt. Der macht nämlich deutlich, dass der Mensch und die Natur sich in einem großen schützenden Zusammenhang befinden. Das bezieht sich natürlich auf die religiösen Vorstellungen der Zeit.
  • Die letzte Zeile geht dann zumindest grob auf das Ziel ein, das sich das lyrische Ich setzt. Ganz allgemein geht es nur um die "weite, weite Welt". Die Wiederholung des Attributs macht schon deutlich, wie wichtig dem lyrischen Ich das ist und gegebenenfalls auch wie unendlich ihm dieses Zielgebiet vorkommt.

Strophe 2

05 Herr Vater, Frau Mutter, dass Gott euch behüt!
06 Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht!
07 Es gibt so manche Straße, da nimmer ich marschiert,
08 Es gibt so manchen Wein, den ich nimmer noch probiert.

  • Zu Beginn der zweiten Strophe wendet sich das lyrische Ich an seine Eltern. Offensichtlich fühlt es sich ihnen verpflichtet, überantwortet sie aber sofort der Fürsorge Gottes, will sich selbst also aus Verpflichtungen befreien.
  • Die zweite Zeile stellt so eine Art Begründung für diese Aufgabe von Verantwortung dar, indem auf mögliches Glück in der weiten Welt verwiesen wird.
  • Die letzten beiden Zeilen machen dann die Neugier, die Abenteuerlust des wahrscheinlich jungen Menschen deutlich. Es geht dabei sowohl um Örtlichkeiten als auch neue Genüsse, die damit verbunden sein können.

Strophe 3

09 Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl
10 Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!
11 Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all,
12 Mein Herz ist wie 'ne Lerche, und stimmet ein mit Schall.

  • Die dritte Strophe beginnt mit einem Appell des lyrischen Ichs an sich selbst, es soll nicht mehr weiter zögern, sondern sich direkt auf den Weg machen. Das Wetter scheint dafür die richtige Voraussetzung zu bieten.
  • Die nächsten beiden Zeilen zeigen dann verschiedene Situationen in der Natur, die das lyrische Ich sich hier wohl vorstellt.
  • Die letzte Zeile dieser Strophe macht dann zum einen die Verbindung des Menschen mit der Natur deutlich.
  • Zum anderen wird das Innerste des Menschen, nämlich das Herz, verbunden mit Gesang.
  • Dahinter steckt wohl die Vorstellung, dass das Ausdruck der Freude ist, die das lyrische Ich sowohl bei den Tieren als auch bei sich selbst sieht.

Strophe 4

13 Und abends im Städtlein, da kehr' ich durstig ein:
14 "Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne blanken Wein!
15 Ergreife die Fiedel, du lust'ger Spielmann du,
16 Von meinem Schatz das Liedel, das sing' ich dazu."

  • Die nächste Strophe beschäftigt sich dann mit der Frage, was denn nach dem Wandern am Ende des Tages kommen kann.
  • Hier geht es lyrische Ich zunächst einmal davon aus, dass es in einer Stadt dann auch eine Gaststätte finden wird, wo es gut sich gut gehen lassen kann.
  • Deutlich wird auch hier, dass Musik eine große Rolle spielt. 
  • Die letzte Zeile ist insofern interessant, als das lyrische Ich zwar auf seine Freundin, Verlobte oder Ehefrau zu sprechen kommt, es geht aber nur darum, ein Lied auch über sie zu singen.
  • Ansonsten fällt auf, dass diese Liebe im gesamten Gedicht überhaupt keine Rolle spielt, das lyrische Ich sich offensichtlich ohne Abschiedsschmerz und Verlustgefühle davon entfernen kann.

Strophe 5

17 Und find' ich keine Herberg, so lieg' ich zu Nacht
18 Wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht:
19 Im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,
20 Es küsset in der Früh' das Morgenrot mich wach.

  • Die nächste Strophe machte deutlich, dass das lyrische Ich auch bereit ist, im Hinblick auf die Unterkunft am Abend gewissermaßen eine Stufe runterzufahren.
  • Es braucht nicht unbedingt eine Stadt und eine Herberge, es kann auch gegebenfalls im Wald schlafen und fühlt sich dort auch geborgen.
  • Die Natur erscheint hier also ganz eindeutig als Freund des Menschen.
  • Auf mögliche Schwierigkeiten und Gefahren wird nicht eingegangen.
  • Die letzte Zeile ("küsset") macht zudem deutlich, dass dieses lyrische Ich die Natur zur Zeit wohl wirklich höher schätzt als die Liebe zu einem Menschen.

Strophe 6

21 O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!
22 Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust;
23 Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
24 Wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt!

  • Die letzte Strophe stellt dann eine Art Zusammenfassung in Form eines Lobliedes dar.
  • Das Wandern wird in eine  enge Beziehung gestellt zur Jugend und zwar zur männlichen Jugend.
  • Außerdem wird dies Wandern auch in eine Beziehung zum Himmel gestellt. Was es in der Natur erlebt, hat für das lyrische Ich eine direkte Beziehung zu Gott.
  • Noch einmal wird das Singen hervorgehoben als Ausdruck großer Freude mit Blick wiederum auf den Himmel.
  • Und am Ende gibt es einfach noch mal einen Ausruf, der die weite Welt im positivsten Licht darstellt.


Aussage des Gedichtes

Aussage des Gedichts: Das Gedicht zeigt:
  1. Die Bedeutung der Jahreszeit und der mit ihr verbundenen Natur für den Menschen
  2. Dessen Bereitschaft, Neues zu erfahren und sich auf Abenteuer einzulassen
  3. Die enge, vertrauensvolle Beziehung zu Gott,
  4. Eine sehr einseitig positive Vorstellung von dem, was man beim Wandern erleben kann.

Beitrag zum Thema "Reisen" bzw. "Unterwegssein"

Was das Thema Reisen oder unterwegs sein angeht,
  1. So gehört der Aufbruch und das anschließende Wandern ganz offensichtlich zur menschlichen Natur.
  2. Es geht vor allem dabei darum, Neues zu erfahren, also seinen Horizont zu erweitern.
  3. Demgegenüber können Verpflichtungen zu Hause zurückgestellt werden.
  4. Es gibt gewissermaßen natürliche höhere Verpflichtungen oder Möglichkeiten, die auch sogar mehr oder weniger unter dem Schutz des Himmels stehen.

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