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Die Weimarer Klassik

Was ist eigentlich klassisch an der (Weimarer) Klassik?

1. Was versteht man überhaupt unter „klassisch“?
  • Ganz allgemein versteht man darunter etwas aus der Vergangenheit, was die Zeit nicht nur überdauert hat, sondern immer noch einen Wert darstellt oder gar maßgebend ist.
  •  Was Kunst und Kultur und besonders die Literatur angeht, gibt es drei Bezugspunkt, zum einen die griechisch-römische Antike, zum Beispiel Tragödien aus der Zeit.
  •  Zum anderen die französische Klassik, die gewissermaßen die kulturelle Variante des Absolu-tismus darstellt. Hier spielen vor allem die Dramen von Corneille und Racine eine große Rolle. Dabei geht es vor neben den drei Einheiten  des Aristoteles vor allem um die Ständeklausel. Nur der Sturz eines großen Menschen konnte beeindrucken.
  • Von dieser Übermacht versucht man sich in der Zeit Lessings zu lösen.
  • Und schließlich die deutsche, die vor allem mit dem Ort Weimar verbunden ist und dort beson-ders mit Goethe und Schiller. Wichtig war, dass sich jetzt die Literatur weniger auf die Welt der Fürstenhöfe und des Adels konzentrierte, sondern vom Bürgertum und seinen Werten ge-prägt wurde.
2. Wie ist die Weimarer Klassik zeitlich einzuordnen?
  • 1775 wurde Goethe vom jungen Herzog Karl August nach Weimar gerufen und geriet dort in den sogenannten „Musenhof“ der Herzoginwitwe Anna Amalia.
  •  Dort ging es einige Zeit noch so richtig wild zu – im Stil des Sturm und Drang. Allerdings hatte die Hofdame Charlotte von Stein einen mäßigenden, bildenden Einfluss auf Goethe. In dem Gedicht „Warum gabst du uns die tiefen Blicke“ stellte der Dichter dazu fest:
  • „Tropftest Mäßigung dem heißen Blute, / Richtetest den wilden irren Lauf“.
  •  Den größten Entwicklungsschritt in Richtung Klassik gab es aber dann ab 1786, als Goethe aus seinen Verpflichtungen als Berater des Herzogs regelrecht nach Italien floh, wenn auch weiter-hin gut bezahlt. Dort lernte er nicht nur das Land kennen, in dem nicht nur die Zitronen blühen, hatte wahrscheinlich auch erste erotische Erlebnisse – vor allem aber arbeitete er viele Werk-entwürfe um – wie zum Beispiel die „Iphigenie“, der er jetzt die Versform gab.
  •  1788 kehrte Goethe zurück, wurde von seinen Ämtern weitgehend freigestellt, konnte sich also ganz der Kunst und der Literatur widmen. In dieser Zeit lernte er Schiller zwar schon kennen – aber sie verstanden sich überhaupt nicht. Goethe hielt Schiller immer noch für einen wilden Stürmer und Dränger, der andere wiederum hatte ein ganz anderes Verständnis von Dichtung. Goethe geht eher von einem harmonischen Naturbegriff aus – Schiller lebt vor allem in Ideen und den entsprechenden Auseinandersetzungen.
  • 1794 ist Schiller dann doch mit seinem Werben um Goethes Freundschaft erfolgreich. Goethe fühlt sich von ihm vor allem auch in seinen naturwissenschaftlichen Studien verstanden. Bald ziehen sie gemeinsam in den sogenannten Xenien über andere her – verfassen aber auch im be-rühmten Balladenjahr 1797 viele Gedichte, die heute noch in Schulbüchern auftauchen – von Goethes „Zauberlehrling“ bis hin zu Schillers Der „Taucher“.
  • Die Freundschaft und der rege Austausch reicht dann bis zum Tode Schillers im Jahre 1805. In-teressant ist zum Beispiel dass „Wilhelm Tell“ ursprünglich eine Idee von Goethe war, der das Projekt dann aber – man wird wohl sagen müssen – glücklicherweise an Schiller abtrat.
  • Goethe hat dann die gemeinsam mit Schiller entworfenen Ideen bis 1832 fortgeführt. Dann war aber vieles von anderen Strömungen bereits überholt, vor allem von der Romantik, mit der Goethe überhaupt nichts anfangen konnte.
  • Im 19. Jahrhundert war es dann vor allem Schiller, der für das aufkommende Nationalbewusst-sein genutzt wurde. Goethe blieb immer präsent im Bewusstsein der Deutschen – aber er war vor allem gefragt nach dem Zusammenbruch 1945, als es darum ging, sich auf andere Werte als nur das Nationale zu besinnen.
3. Kennzeichen und Merkmale der Weimarer Klassik
  • Eine große Rolle bei der Entstehung der Weimarer Klassik spielte die Entwicklung während der Französischen Revolution. Die war ja 1789 recht gut gestartet. Das alte Feudalsystem mit der Vorherrschaft des Adels und der Unterdrückung der Bauern war aufgehoben worden. Dazu waren allgemeine Menschenrechte formuliert und beschlossen worden. Auch in Deutschland wünschen sich viele Menschen entsprechende Fortschritte und begrüßten die Revolution zum Teil enthusiastisch. Zu diesen Leuten gehört auch Schiller, der ja eigene negative Erfahrungen mit seinem Herzog gemacht hatte. So war er stolz, als er 1792 sogar von der französischen Na-tionalversammlung die Ehrenbürgerschaft verliehen bekam.
  • Die Entwicklung hin zu einer Gesinnungsdiktatur, die hemmungslos auch die Guillotine gegen reale oder auch nur vermeintliche Feinde einsetzte, und besonders die Hinrichtung des Königs führte dann bei vielen und auch bei Schiller zu einem Umdenken.
  • https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/haltung-goethes-und-schillers-zur-franzoesischen-revolution
  • Damit waren auch die Hoffnungen und Ziele aus der Zeit des Sturm und Drang fragwürdig ge-worden.Dazu kam, dass auch vieles an der damals entstandenen Literatur jetzt nicht mehr nur positiv gesehen wurde, etwa Ichbezogenheit und Gefühlsseligkeit Werthers. Immerhin war er recht selbstsüchtig in eine funktionierende Beziehung eingedrungen und hatte sich am Ende seiner Verzweiflung nur durch Selbstmord entziehen können. Dazu kam der sogenannte Wer-ther-Effekt, d.h. viele ließen sich zu ähnlichen Gefühlen und Verhaltensweisen hinreißen – manche Forscher glauben sogar, weitere Selbstmorde auf das Konto des Romans schreiben zu können oder zu müssen.
  • https://de.wikipedia.org/wiki/Werther-Effekt
  • Dementsprechend wuchs das Streben nach einem harmonischen Ausgleich von Gegensätzen und man orientierte sich dabei am antiken Kunstideal und strebte nach Vollkommenheit, Har-monie, Humanität und im Hinblick auf die Werke auch nach Übereinstimmung von Form und Inhalt.
  • Für Goethe war die Natur das Modell für die großen Zusammenhänge des Universums, Schiller orientierte sich vor allem an historischen Erfahrungen.
  • Konkret bedeutet das, dass man in Revolutionen keine Lösung mehr sah, sondern auf Evoluti-on, also die allmähliche Weiterentwicklung einer Gesellschaft, setzte. Ziel blieben natürlich die Grundgedanken der Aufklärung (besonders für Künstler wichtig: Toleranz und Meinungsfrei-heit).
  • Schiller entwickelte zudem ein Konzept, bei dem die Menschen durch Kunst bzw. eine ästhetische Erziehung erst mal reif für die Freiheit gemacht werden sollten.
  • https://www.schnell-durchblicken.de/durchblick-auch-in-deutsch/schiller-kabale-und-liebe-tipps-und-infos/schillers-theatertheorie/
  • Das Ideal für ihn, aber auch für Goethe, man denke an die Iphigenie, war die „schöne Seele“, d.h. ein Mensch, der Pflicht und Neigung, also das, was er tun sollte, und das, was er tun möch-te, in Übereinstimmung bringt.
  • In diesem Zusammenhang glaubte man auch an die zeitlose Wirkung der Literatur, wenn entsprechende Gegenstände behandelt wurden.
  • Dazu kam das Bemühen um eine anspruchsvolle Sprache, was im Gegensatz zum Prinzip der natürlichen Sprache in der Zeit des Sturm und Drang stand (Man denke an Goethes Kraftwort in „Götz von Berlichingen“ oder auch die Reden der Hauptfiguren in Schillers „Die Räuber“.)
  • Für das Drama bedeutete das Bemühen um einen hohen Anspruch die Verwendung der an der Antike orientierten geschlossenen Form des Dramas mit pyramidalem Aufbau und einer Ten-denz zur Einhalten der drei Einheiten des Aristoteles, was in Goethes Iphigenie oder im Tasso ja auch durchgehalten wird.
  • Ein weiterer Schlüsselbegriff war „Humanität“, also ein Menschsein, das sich im Rahmen eines individuellen Bildungsprozesses zu einer Höchstform von Eigenentwicklung, aber auch gesell-schaftlicher Verantwortung entwickelt.
3. Voraussetzungen – wie kam es zur Weimarer Klassik?
  • Eine erste wichtige Voraussetzung war natürlich die Renaissance, also die Zeit um 1500, in der der Alleinvertretungsanspruch des Christentums zurückgedrängt wurde und man anfing, sich wieder mehr für die Antike zu interessieren. So wollte man Freiräume für sich gewinnen.
  • Nicht von ungefähr bedeutet Renaissance Wiedergeburt der Antike, auch wenn in der Praxis die Antike durchaus mit der Realität der Gegenwart verbunden wurde. Eine extremes Beispiel dafür ist ja später Goethe, der, als er zum ersten Mal einen einigermaßen gut erhaltenen grie-chischen Tempel in Süditalien sah, ganz erschrocken war, wie massiv der sich ihm präsentierte. Das war wohl auch ein Grund, dass er dann den Plan einer Weiterreise nach Griechenland ver-warf. Heute wissen wir ja auch, dass die Antike viel farbenfroher war, was die Statuen angeht, als wir es heute in den Museen sehen. Goethe hielt das strahlende Weiß der Figuren in seinem Haus noch ganz selbstverständlich für originalgriechisch.
  •  In der Zeit des Absolutismus, also nach dem Chaos des 30jährigen Krieges, griff man dann be-sonders auf römische Vorbilder zurück und nutzte sie zur Verherrlichung der eigenen Staats- und Gesellschaftsform (Alleinherrschaft des Fürsten und Vorrechte besonders des Adels).
  • Nach einiger Zeit, so ab dem Tod des Sonnenkönigs 1715, wird das den Leuten wohl zu lang-weilig und man wendet sich aktuelleren Dingen zu, außerdem fängt man an, sich für mittelal-terliche, exotische oder sogar märchenhafte Dinge zu interessieren.
  • Dies wiederum rief natürlich die wirklichen Freunde der Antike auf den Plan – also die, die nicht nur an Macht und Glanz interessiert waren. Man entfernte sich von der aristokratischen Ebene und wendete sich dem Bürgertum zu. In diesem Zusammenhang gehört auch das soge-nannte „bürgerliche Trauerspiel“, wie es vor allem Lessing in Deutschland entwickelte.
  • In Emilia Galotti zum Beispiel geht es noch um eine junge Frau, die von einem selbstsüchtigen Herrscher bedrängt wird – sie stammt zwar aus adligem Hause, aber das Denken ihrer Familie in Richtung Ehrlichkeit und Moral ist schon ganz bürgerlich.
  • In einem späteren Stück ist die Heldin Miss Sara Sampson schon ganz außerhalb der Adels-sphäre.
  • Diese neue Rückwendung in Richtung Antike geht einher mit ersten archäologischen Ausgra-bungen und einer noch intensiveren Wiederaufnahme antiker Quellen.
  • Eine entscheidende Rolle spielt hier Johann Joachim Winckelmann, der zwischen 1755 und 1767 wichtige Werke verfasste, in denen auch die neue Idee der „edlen Einfalt und stillen Grö-ße“ formuliert wurde. Die wurde später zur Grundlage für die deutsche Klassik. Aus dem Prunk der französischen Klassik wurde die Schlichtheit des deutschen Bürgertums.
  • Wichtig waren auch Lessing mit seinen Ausführungen zur "Erziehung des Menschengeschlechts" (1788) zu einer alle religiösen, nationalen und sozialen Schranken überwindenden Gemeinschaft aller Menschen und
    Herders Lehre von der "Universalgeschichte der Bildung der Welt, die alles geschichtliche Werden als Weg zur Humanität" begreift (1774).
  • Bei Goethe kam noch hinzu, dass sein Vater wie viele andere, die sich das leisten kommen konnten, eine Bildungstour nach Italien gemacht hatte, die Goethe in seiner eigenen italieni-schen Reise nachahmte und zu übertreffen versuchte, was ihn dann auch gelang.

Beispiel für ein Werk der Klassik: Goethes "Iphigenie auf Tauris"

Ausführlich gehten wir auf diesen Aspekt auf der folgenden Seite ein.
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