Neuer Text

kafka-kaufmann


Kafka, Der Kaufmann

Wir präsentieren hier den Text in Sinnabschnitten und fügen jeweils unsere Kommentare hinzu, aus denen sich am Ende eine Klärung des Verständnisses des Textes ergibt.

Franz Kafka

Der Kaufmann
 
Es ist möglich, dass einige Leute Mitleid mit mir haben, aber ich spüre nichts davon. Mein kleines Geschäft erfüllt mich mit Sorgen, die mich innen an Stirne und Schläfen schmerzen, aber ohne mir Zufriedenheit in Aussicht zu stellen, denn mein Geschäft ist klein.
 von Klage über die geschäftliche Situation

  • Interessanter Einstieg in Richtung andere Leute
Für Stunden im voraus muss ich Bestimmungen treffen, das Gedächtnis des Hausdieners wachhalten, vor befürchteten Fehlern warnen und in einer Jahreszeit die Moden der folgenden berechnen, nicht wie sie unter Leuten meines Kreises herrschen werden, sondern bei unzugänglichen Bevölkerungen auf dem Lande.
  • Genaueres Eingehen auf die bsd. Herausforderungen seines Geschäfts
  • Interessanter Hinweis auf schwierige Kunden
Mein Geld haben fremde Leute; ihre Verhältnisse können mir nicht deutlich sein; das Unglück, das sie treffen könnte, ahne ich nicht; wie könnte ich es abwehren! Vielleicht sind sie verschwenderisch geworden und geben ein Fest in einem Wirtshausgarten und andere halten sich für ein Weilchen auf der Flucht nach Amerika bei diesem Feste auf.
  • Neuer Bereich von Schwierigkeiten bzw. Problemen, jetzt Finanzen, Abhängigkeit
  • Seltsame Ausmalung von unglücklichen Entwicklungen
  • Bis hin ins Abwegige hinein
Wenn nun am Abend eines Werketages das Geschäft gesperrt wird und ich plötzlich Stunden vor mir sehe, in denen ich für die ununterbrochenen Bedürfnisse meines Geschäftes nichts werde arbeiten können, dann wirft sich meine am Morgen weit vorausgeschickte Aufregung in mich, wie eine zurückkehrende Flut, hält es aber in mir nicht aus und ohne Ziel reißt sie mich mit.
  • Wechsel von Geschäftsproblemen hin zu Freizeitproblemen
  • Fast schon krankhafte psychische bzw. nervliche Situation (Überspanntheit)
Und doch kann ich diese Laune gar nicht benützen und kann nur nach Hause gehn, denn ich habe Gesicht und Hände schmutzig und verschwitzt, das Kleid fleckig und staubig, die Geschäftsmütze auf dem Kopfe und von Kistennägeln zerkratzte Stiefel. Ich gehe dann wie auf Wellen, klappere mit den Fingern beider Hände und mir entgegenkommenden Kindern fahre ich über das Haar.
  • Näheres Eingehen auf seine Möglichkeiten oder besser Unmöglichkeiten
  • Am Ende verstärkt sich das Gefühl, dass er nicht mehr ganz bei sich ist, seine Gliedmaßen unter Kontrolle hat (Übersprunghandlung)
 Aber der Weg ist zu kurz. Gleich bin ich in meinem Hause, öffne die Lifttür und trete ein.
  • Erstaunliche Klage über zu kurzen Weg
  • Wohl Angst vor der Ruhe zu Hause
 Ich sehe, dass ich jetzt und plötzlich allein bin. Andere, die über Treppen steigen müssen, ermüden dabei ein wenig, müssen mit eilig atmenden Lungen warten, bis man die Tür der Wohnung öffnen kommt, haben dabei einen Grund für Ärger und Ungeduld, kommen jetzt ins Vorzimmer, wo sie den Hut aufhängen, und erst bis sie durch den Gang an einigen Glastüren vorbei in ihr eigenes Zimmer kommen, sind sie allein.
  • Hier wird genau die Vermutung bestätigt
  • Angst vor dem Alleinsein
  • Wäre für jede Verzögerung, ja sogar körperliche Anstrengung dankbar (Ablenkung)
 Ich aber bin gleich allein im Lift, und schaue, auf die Knie gestützt, in den schmalen Spiegel. Als der Lift sich zu heben anfängt, sage ich:
  • Reale Situation
  • Seltsame Körperhaltung
  • Wirkt schwach, halb zusammengebrochen
  • Beginnt mit einer Art Selbstgespräch
 „Seid still, tretet zurück, wollt Ihr in den Schatten der Bäume, hinter die Draperien der Fenster, in das Laubengewölbe?“
  • Unklarer Adressat
  • Auf jeden Fall Abwehr
  • Eindruck von Gespenstern
  • Vielleicht auch eine Erinnerung an Kunden oder Schuldnern
 Ich rede mit den Zähnen und die Treppengeländer gleiten an den Milchglasscheiben hinunter wie stürzendes Wasser.
  • Verhalten bzw das Selbstgefühl immer seltsamer, krankhafter
  • Wahrnehmung der Außenwelt wird auch fantasievoller
  • Stürzendes Wasser vielleicht Anspielung auf seine Situation
 „Flieget weg; Euere Flügel, die ich niemals gesehen habe, mögen Euch ins dörfliche Tal tragen oder nach Paris, wenn es Euch dorthin treibt.
 Erneuter Versuch der Abwehr von imaginären Bedrohungen

  • Diesmal noch fantastischer
Doch genießet die Aussicht des Fensters, wenn die Prozessionen aus allen drei Straßen kommen, einander nicht ausweichen, durcheinander gehn und zwischen ihren letzten Reihen den freien Platz wieder entstehen lassen. Winket mit den Tüchern, seid entsetzt, seid gerührt, lobet die schöne Dame, die vorüberfährt.
  • Nicht ganz klar, ob er es den Abzuwehrenden schmackhaft machen will
  • Oder kurzzeitig Entlastung in der Fantasie sucht
Geht über den Bach auf der hölzernen Brücke, nickt den badenden Kindern zu und staunet über das Hurra der tausend Matrosen auf dem fernen Panzerschiff.
  • Fortsetzung des Fantasieren
Verfolget nur den unscheinbaren Mann und wenn Ihr ihn in einen Torweg gestoßen habt, beraubt ihn und seht ihm dann, jeder die Hände in den Taschen, nach, wie er traurig seines Weges in die linke Gasse geht.
  • Wechsel von den schönen Fantasien zu negativen, d.h. Die Vetdrängung funktioniert nicht komplett
Die verstreut auf ihren Pferden galoppierende Polizei bändigt die Tiere und drängt Euch zurück. Lasset sie, die leeren Gassen werden sie unglücklich machen, ich weiß es. Schon reiten sie, ich bitte, paarweise weg, langsam um die Straßenecken, fliegend über die Plätze.“
  • Halluziniert seine Situation in die der Polizisten
Dann muss ich aussteigen, den Aufzug hinunterlassen, an der Türglocke läuten, und das Mädchen öffnet die Tür, während ich grüße.
  • „Muss“ zeigt, wie wenig er mit dem Zuhausesein klarkommt
  • Immerhin hat er wohl eine Hausangestellte, die aber scheint für ihn keine Entlastung darzustellen

Insgesamt zeigt die Geschichte
  1. Einen völlig überforderten Menschen,
  2. Der einen Zustand erreicht hat, in dem er keine Ruhe mehr findet
  3. Und deshalb das Alleinsein zu Hause eher als zusätzliche Belastung empfindet

Künstlerische Mittel
  • Zunehmend extreme Fantasien
  • Mit Abwehr- und z.T auch Flucht- bzw Verfolgungselementen
  • Verdrängung funktioniert jedenfalls nicht

Sinnpotenzial
  • Missverhältnis zwischen gesellschaftlichen Verhältnissen und persönlichen natürlichen Bedürfnissen, dazu Einsamkeit, ohne Kontakt, siehe den Beginn der Geschichte


Share by: