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Georg Heym, "Gegen Norden"


Georg Heym, "Gegen Norden" - Unterwegs sein als ein Heimkommen, ohne wirklich oder gar glücklich anzukommen

Georg Heym

Gegen Norden

Die braunen Segel blähen an den Trossen,
Die Kähne furchen silbergrau das Meer.
Der Borde schwarze Netze hangen schwer
Von Schuppenleibern und von roten Flossen.

  • In der ersten Strophe präsentiert das lyrische Ich eine eine Situation, in der es aufs Meer blickt und allerlei sieht, was mit Aktivitäten des Menschen zu tun hat.
  • Man hat den Eindruck, dass hier Geschwindigkeit eine Rolle spielt - offensichtlich will man "Der Borde schwarze Netze" schnell nach Hause bringen.

Sie kehren heim zum Kai, wo raucht die Stadt
In trübem Dunst und naher Finsternis.
Der Häuser Lichter schwimmen ungewiss
Wie rote Flecken, breit, im dunklen Watt.

  • In der zweiten Strophe wird es dann noch deutlicher, dass das wohl der Blick vom Hafen aus auf das Meer ist.
  • Denn es geht um die Heimkehr dieser Schiffe und das erkennt man natürlich nur in Hafennähe.
  • Die Stadt wird - wie im Expressionismus üblich - eher negativ gezeichnet.
  • "Der Häuser Lichter" "schwimmen", entfernen sich also nicht wirklich vom Wasser - und das auch noch "ungewiss". Wenn man das mit der später im Gedicht auftauchenden Fischerleiche in Verbindung bringt, ahnt man Gefahr und Untergang.

Fern ruht des Meeres Platte wie ein Stein
Im blauen Ost. Von Tages Stirne sinkt
Der Kranz des roten Laubes, da er trinkt,
Zur Flut gekniet, von ihrem weißen Schein.

  • In der dritten Strophe geht es um Eindrücke vom Meer, nicht mehr um die Aktivitäten von Menschen.
  • Interessant, dass das Meer hier eher als stabil gesehen wird.
  • Beim Schluss der Strophe ist interessant, dass der Tag "Zur Flut gekniet" präsentiert wird. Man wird hier erinnert an das Gedicht "Der Gott der Stadt" vom selben Autor, in dem die Menschen vor einer urtümlichen gefährlichen Gewalt niederknien - wenn auch ohne Rettungs- oder Schonungserfolg.
    https://www.endlich-durchblick.de/schnell-und-sicher-verstehen-gedichte-des-expressionismus/heym-georg-der-gott-der-stadt/
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    (5) "Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
    Die großen Städte knieen um ihn her."

Es zittert Goldgewölke in den Weiten
Vom Glanz der Bernsteinwaldung, die enttaucht
Verlorner Tiefe, wenn die Dämmerung raucht,
In die sich gelb die langen Äste breiten.

  • In der vierten Strophe geht es dann immer mehr ins Fantastische, es werden eher innere Vorstellungen produziert als konkrete Eindrücke wiedergegeben.
  • Die erste Zeile gibt einfach einen bestimmten Lichteffekt künstlerisch wieder.
  • Die zweite und dritte Zeile entspricht einfach der Fantasie, dass dieser Lichteffekt etwas mit Bernstein zu tun haben könnte.
  • Offensichtlich hat das Lyrische Ich den Eindruck, dass da etwas aufsteigt wie Rauch.
  • Wieso allerdings die "langen Äste" sichtbar sein sollen, wenn es doch um "Goldgewölke in den Weiten" geht, bleibt Heyms Geheimnis.
  • Das ist mal wieder so eine Stelle, an der deutlich wird, dass es den Expressionisten häufig nicht um Logik ging, sondern  eben um aus ihrer Sicht zu ihren Gefühlen passende Bilder.

Versunkne Schiffer hängen in den Zweigen.
Ihr langes Haar schwimmt auf der See wie Tang.
Die Sterne, die dem Grün der Nacht entsteigen,
Beginnen frierend ihren Wandergang.

  • In der letzten Strophe wird es dann ganz surreal, wenn plötzlich "Versunkne Schiffer" auftauchen, die in diesen Zweigen hängen.
  • Dass da ausreichend viele Tote treiben, so dass ihre Haare wie Tang aussehen können, dürfte im besten Sinne des Wortes reine "Ein-Bildung" sein.
  • Und auch die letzten beiden Zeilen, die wohl den aufziehenden Sternenhimmel ansprechen, sind nichts als Dichterfantasie, denn Sterne frieren nun als kosmische Sonnen wirklich nicht.

Insgesamt ein typisch expressionistisches Gedicht Gedicht, das von äußeren Eindrücken ausgeht, letztlich sie aber benutzt, um innere Vorstellungen, Gefühle und Gedanken auszudrücken.

Was das Thema Reisen oder Unterwegssein angeht, so präsentiert dieses Gedicht viel Bewegung, vor allem auf einen Hafen hin, was aber dann doch nicht Ruhe, Frieden und Glück ausdrückt, sondern am Ende stehen Ungewissheit, Vergänglichkeit und ein Gefühl von Kälte.

Kleiner Tipp:
Das Gedicht kann man gut nutzen, um aus heutiger Sicht Stärken und Schwächen expressionistischer Lyrik zu untersuchen und zu diskutieren.

Siehe zu dem Thema auch das Video:

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