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Botho Strauß, "Rückkehr"


Anmerkungen zu Botho Strauß, "Rückkehr" - oder der Nachweis, dass Kalendergeschichten auch heute noch funktionieren

  1. Verfasser, Erscheinungsjahr, Thema, Inhalt
    Die kurze Erzählung "Rückkehr" von Botho Strauße wurde 2006 veröffentlicht und thematisiert das plötzliche Verschwinden eines Bäckermeisters, der nach Mexiko auswandert und dort sein Glück mit Papierfabriken macht und dann genauso überraschend bei seiner Frau wieder auftaucht, nachdem er gehört hat, dass sie in Armut lebt.
  2. Sie nimmt ihren Mann kaum wahr und nimmt auch die Unterstützung, die er ihr anbietet, nicht an - mit der vieldeutigen Bitte, er möge "sie wieder mit ihm allein lassen."

  3. Das Problem des Schlusses
    Rein sprachlich bezieht sich das am besten auf den Pfirsichlikör, den sie gerade getrunken hat - wohl getreu dem Motto: "Wer Kummer hat, hat auch Likör" und dann sich dann wenigstens mit Alkohol trösten.
  4. Richtig raffiniert wird es, wenn man das "ihm" auf den Mann bezieht. Das hört sich auf den ersten Blick widersprüchlich an, denn sie will ja allein gelassen werden.
  5. Sinn macht das nur, wenn man das so versteht, dass er sie mit ihrem Mann, der einfach verschwunden ist und sie verlassen hat, allein lassen soll, also gewissermaßen mit der Vorstellung ihrer Verlustsituation, mit der sie sich wohl abgefunden hat.
  6. Da würde es sie nur stören oder auch überfordern, wenn jetzt ihr Mann plötzlich sich ganz anders präsentiert, ohne dass sein früheres  Verhalten, eigentlich sein Verrat an seiner Frau irgendwie aufgearbeitet ist.

  7. Das Problem des Herzens
    Was noch auffällt, ist die Formulierung, "nahm er sich ein Herz" und besuchte sie dann. So etwas sagt man, wenn jemand sich überwindet, also macht dieser Mann wohl einen echten Schritt auf seine Frau zu - aber es ist eben zu spät, sie ist zu sehr verlassen und damit auch verletzt worden - und ist eher bereit, weiter in Armut zu leben, als sich jetzt irgendwie unterstützen zu lassen, dabei aber auch in Abhängigkeit zu geraten.

  8. Aussage(n), Intention
    Letztlich zeigt also die Geschichte, dass man eben nicht einfach da weitermachen kann, wo man früher mal aufgehört hat. Im Lateinischen gibt es den Spruch: "Tempora mutantur, nos et mutantur in illis": Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns mit ihnen. Und von einem griechischen Philosophen gibt es die Formulierung: "In die gleichen Flüsse steigen wir und steigen wir nicht."
    https://de.wikipedia.org/wiki/Panta_rhei
  9. Dazu kommt natürlich die Frage der Schuld und der Verletzung der Frau, die entweder immer noch nachwirkt oder aber sie hat sich einfach an dieses Leben gewöhnt.

  10. Gattung / Textsorte:
    Bleibt noch die Frage, um was für eine Art von Text es sich handelt: Ganz klar ist, dass es ein erzählender Text ist. Für eine Kurzgeschichte ist sie zu wenig erzählerisch gestaltet und eigentlich auch zu dramatisch.
  11. Auf der Seite:
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/meine-frau-deine-frau.950.de.html?dram:article_id=134371
    bekommt man den Hinweis auf die Ähnlichkeit mit den sogenannten "Kalendergeschichten", wie wir sie von Johann Peter Hebel aus der ersten Hälfte des 19. Jhdts. kennen.  Darin werden zur Unterhaltung und zum Teil auch zur Belehrung interessante Begebenheiten in einer Art Kalender zusammengestellt. Die können dann bei einer passenden Gelegenheit etwa in der Familie vorgelesen und eventuell auch besprochen werden.
  12. Es gibt also Ähnlichkeiten mit einer Novelle, die ja auch eine "unerhörte", d.h. eine bisher nicht gehörte Geschichte präsentiert, nur in viel größerem Umfang und eben auch richtig auserzählt, aber im Unterschied zum Roman auf einen Handlungsstrang hin konzentriert und häufig auch dramatisch angehaucht.
  13. Um eine Parabel handelt es sich allerdings wohl kaum, denn das sind Geschichten, die an einem fiktiven Beispiel etwas klarmachen sollen, was man direkt für sich mit der entsprechenden Lehrer nicht annehmen würde.
    siehe dazu auch:
    https://www.schnell-durchblicken.de/durchblick-auch-in-deutsch/fragen-und-antworten/parabel/
    Hier gibt es aber keinen erkennbaren Erkenntniswiderstand, den man auf diese Art und Weise umgehen müsste.
    Es ist vielmehr eine Geschichte, die auf eine Pointe hinausläuft, fast wie in einem Witz, wobei es allerdings um Erkenntnis geht.
    Und eine solche Pointengeschichte ist wirklich besser bei den Kalendergeschichten aufgehoben.

  14. Was man mit der Geschichte anfangen könnte:
    Gerade weil der Schluss so genial verknappt ist, könnte man diese Myriam anschließend ihr Erlebnis und auch ihre Gefühle und Gedanken zum Beispiel einer Freundin erzählen lassen. Einen inneren Monolog vor dem Kopfschütteln schreiben zu lassen, erscheint nicht so sinnvoll, weil es den Clou der Geschichte zerstören würde, nämlich die unglaubliche Lakonie, also die knappe Antwort, die unendlich viel enthält.

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