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Inhaltsangabe "Ein netter Kerl"


Das Problem der Inhaltsangabe in der Oberstufe - am Beispiel der Kurzgeschichte "Ein netter Kerl"

  1. Inhaltsangaben werden normalerweise in der 7. und 8. Klasse besprochen und geübt. Dabei lernen Schüler, wie man sich von einer Nacherzählung entfernt und die wichtigsten Elemente zum Beispiel einer Ballade oder auch einer Kurzgeschichte zusammenfasst.
    Dabei sind Zitate normalerweise streng verboten.
  2. In der Oberstufe geht es nun gerade darum, alle Erkenntnisse beim Text auch mit Zitaten zu belegen und damit abzusichern.
  3. Bleibt die Frage, wieso denn dann die Inhaltsangabe in der Oberstufe noch was zu suchen hat.
  4. Das hängt damit zusammen, dass man sich bei der Analyse von literarischen Texten immer weiter entfernt, über die Analyse der einzelnen Erzählschritte ein Gesamtverständnis aufzubauen.
  5. Deshalb ist auch wohl die "Deutungshypothese" weggefallen, die ja gerade voraussetzt, dass man alles schon verstanden hat.
  6. Stattdessen reduziert man in Klausuren die Analyse auf bestimmte Aspekte,
  7. muss dann aber natürlich am Anfang einen Platz finden für einen Gesamtüberblick über die Geschichte.
  8. Dafür hat man eine neue Dreiheit erfunden - und zwar von "Situation", "Anlass" und "Gegenstand".
  9. Wir werden das am Beispiel der Kurzgeschichte "Ein netter Kerl" von Gabriele Wohmann mal aussprobieren.
  10. Vorher aber präsentieren wir gewissermaßen unsere Vorstufen - die viel zu lang sind, aber zeigen, wie man auch den Inhalt komplett erst mal vorstellen könnte.

Stufe 1: Überblick über den gesamten Inhalt, bevor man zu Spezialaspekten kommt

Die Zeilenangaben kann man sich vorne wegdenken, aus der inhaltlichen Beschreibung dürfte bei jeder Druckausgabe der Kurzgeschichte deutlich werden, worauf wir uns beziehen.

1.    (01-06) Die KG beginnt mit kritischen Bemerkungen zu dem jungen Mann, der gerade dagewesen ist.
2.    (07-11) Nina fühlt sich offensichtlich getroffen – kann aber weitere entsprechende Bemerkungen nicht verhindern.
3.    (12-14) Ein bisschen Entlastung gibt es durch eine positive Bemerkung von Milene, wahrscheinlich einer zweiten Schwester.
4.    (15-23) Die Mutter ist kurzzeitig etwas „beschämt“ (15), legt dann aber gleich mit negativen Bemerkungen zum Aussehen des Besuchers los, die von Nanni noch verstärkt werden.
5.    (24-28) Nina bekommt in ihrem Leiden, das sich körpersprachlich zeigt, noch einmal durch Milene etwas Entlastung, die aber auch schon in einem „komischerweise“ endet, also etwas zurückgenommen wird.
6.    (29-34) Nanni reagiert darauf mit einem theatralisch völlig überzogenen Ausbruch, ihre Bemerkung endet in Zynismus.
7.    (35-39): Der Vater, der den Besuch hinausbegleitet hat, bringt einen neuen negativen Aspekt mit ein, nämlich die Ängstlichkeit des jungen Mannes.
8.    (40-54): Nina macht den Fehler, darauf hinzuweisen, dass dieser junge Mann „mit seiner Mutter zusammenlebt“, was nach Muttersöhnchen klingt, was ein alle anderen Personen umfassendes Gelächter auslöst. Interessant ist, dass diese vorläufig letzte Steigerung für Rita auch Entlastung bedeutet und die Mutter zu einem Aufruf bewegt, sich anderen Themen zuzuwenden.
9.    (55-72) Einen letzten abscheulichen Angriff („fette Qualle“) kontert Rita mit dem Outing, dass sie sich mit diesem Mann verlobt hat. Dann legt sie noch nach, indem sie das Lachen der anderen Familienmitglieder von vorhin gegen sie wendet und auch noch ironisch Nanni, die Hauptakteurin angeht.
10.    (73-80) Das Hetzgespräch verstummt völlig, man bemüht sich, „gesittet und ernst“ zu sein – und Vater und Mutter versuchen eine Brücke zu schlagen zu diesem möglichen neuen Familienmitglied.
11.    Am Ende wird still kommuniziert, indem der Erzähler Rita „gezähmte Lippen“ sehen lässt. Auch ist von „roten Flecken in den Gesichtern“ der anderen die Rede, die also jetzt auch leiden. Und die Köpfe sind gesenkt, was ein gewisses Schuldbewusstsein oder zumindest ein Gefühl von peinlichem Getroffensein ausdrückt.
12.    Über die Analyse hinaus: Das Gespräch könnte nach dem Nachtisch noch ein Nachspiel haben – wie im Video angedeutet: Vorwürfe Milenes an Nanni – oder ein selbstkritisches Gespräch der Eltern – oder ein Telefonat Ritas mit einer Freundin. Ein Gespräch über diese Episode mit ihrem Freund wäre wohl heikel und kontraproduktiv.

Stufe 2: Stärkere Reduktion Richtung Inhaltsangabe - allerdings durchaus mit Zitat-Erlaubnis

Kurz-Überblick über den Inhalt:
1.    In der Geschichte geht es um eine Familie, in der über einen jungen Mann hergezogen wird, der gerade vom Vater nach draußen begleitet wird.
2.    Es geht vor allem um die angebliche Hässlichkeit, später auch die negativ gesehene enge Verbindung noch zu seiner Mutter.
3.    Besonders die Reaktion auf diesen Punkt löst ein allgemeines Gelächter aus, in das sogar Milene, wohl eine Schwester, einstimmt, die sich vorher noch positiver geäußert hat.
4.    Rita, die diesen jungen Mann mitgebracht hat, leidet vor allem körperlich, nimmt dann aber all ihren Mut zusammen und holt zum Gegenschlag aus, indem sie ihre Verlobung mit diesem jungen Mann bekanntgibt.
5.    Die anderen zeigen angesichts dieser Situation zumindest ein gewisses Gefühl für Peinlichkeit und Vater und Mutter übernehmen eine vermittelnde Rolle, was aber nur ansatzweise gelingt.
6.    Am Ende macht der Erzähler die so schlecht behandelte Rita zur moralischen Siegerin, indem er sie auf „gezähmte Lippen“ blicken lässt – und zwar von Leuten, die jetzt den Nachtisch nur noch mit gesenkten Köpfen essen können.


Stufe 3: Beschränkung auf die Dreiheit von "Situation", "Anlass" und "Gegenstand"

  1. Was die Situation zu Beginn der Kurzgeschichte angeht, so geht es um ein Familien-Essen (vgl. 68/69), nachdem ein Besucher sich verabschiedet hat und vom Vater noch ein Stück begleitet wird. (vgl. 35ff)

  2. Der Anlass sind sehr negative Gefühle gegenüber dem jungen Mann, die vor allem von Nanni geäußert werden und denen sich im Laufe der Geschichte so ziemlich die ganze Familie anschließt.

  3. Der Gegenstand ist der Umgang mit einer Person, die von einem Familienmitglied mitgebracht worden ist. Dieser zunächst sehr negative Umgang verändert sich, nachdem deutlich gemacht worden ist, dass dieser Mann demnächst zur Familie gehören wird.



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